Jock MacDonald, Amateurdetektiv

Bei einem Detektivroman ist man eben selber der Detektiv :-)

(c) Stu Savory, 1991

Jock befand sich wieder auf dem Heimweg. Er hatte einen Tagesausflug von Edinburgh nach London gemacht, um seinen Verleger zu besuchen. Wie üblich, war er mit dem Nachtzug (Ankunft in London 06:20 Uhr) angereist. Er schrieb populärwissenschaftliche Bücher über Themen wie künstliche Intelligenz, aber lesen tat er - und zwar leidenschaftlich gerne - Detektivromane. Jetzt, auf dem Heimweg, hatte er über eine Stunde Zeit, bevor der Nachtzug um 23:50 Uhr wieder den Bahnhof Euston in Richtung Edinburgh verließ. Zuerst ging er zum Zeitungskiosk und holte die neuesten Detektivschundhefte, da sie besonders preisgünstig waren. Er würde sie im Abteil der zweiten Klasse auf dem Heimweg lesen; den Schlafwagen wollte er sich nicht leisten.

Erst Zehn vor Elf! Immer noch eine Stunde! Also würde er in die Kneipe gehen. Zwar nicht in die Bahnhofskneipe, die schmutzig und überteuert ist, sondern in den auf der Straße quer gegenüber, kaum 100 Meter vom Bahnhof, also in den "Gasthof zum Druckfehlerteufil (sic!)".

Dem Namen nach war dies Londons berüchtigste Journalistenkneipe. Da sammelten sich stets die "Roten" der schwarzen Zunft. Vom tintenschwarz-becklekerten Druckerlehrling bis zu den feinen studierten Damen und Herren, die für die edleren Zeitungen die linke Politikspalte schrieben. Und natürlich auch manche Schundschreiber von der Regenbogenpresse.

Jock ging hinein um sich ein halbes Pint zu leisten.

"Inspektor Dumberley, was machen Sie denn hier?" fragte er erstaunt, als er seinen alten Bekannten von Scotland Yard an der Theke sah.

"Jock MacDonald! Alter Hobby-Schnüffler! Immer wenn es einen unlösbaren Mordfall gibt, tauchen Sie auf wundersamste Weise auf! Kommen Sie, alter Geizhals, ich spendiere einen Whisky!"

"Danke. Ich trinke einen Bowmore von der Insel Islay! Nur das Beste, wenn ein anderer zahlt. Aber erzählen Sie Inspektor, was macht ein so ehrenvoller Polizist wie Sie zu dieser späten Stunde in einer als Kommunistenhöhle berüchtigten Journalistenkneipe wie dieser?" wollte Jock wissen.

"Ich suche einen Mörder, was denn sonst!" antwortete Dumberley grantig. "Heute morgen um sieben wurde ein Zeitungsmagnat von seinem Butler tot aufgefunden - erdrosselt. Schwarze Druckertinte um den Hals. Neben der Leiche lag ein verschmierter Bekennerbrief. Die Drucherschwärze war noch naß!"

"Und was stand darin?" fragte Jock, stets neugierig.

"Dieses Kapitalistenschwein muß sterben, damit unsere Gilde wieder unabhängig schreiben kann! Wer Drucken gelernt hat, muß nicht nur ein Auge, sondern auch einen Hals zudrücken können!"

"Und was haben Sie daraus abgeleitet, Inspektor Dumberley?" Jock bohrte neugierig weiter.

"Daß der Mörder ein linksradikaler Journalist ist, der ursprünglich eine Druckerlehre gemacht hat."

"Logo!" antwortete Jock hämisch grinsend.

Inspektor Dumberley ignorierte den Spott und fuhr fort: "Unsere Datenbank in Scotland Yard hat alle bekannten Linksradikalen gespeichert (damals auf Anordnung von Margaret Thatcher). Also recherchierte ich, es gibt nur fünf solcher Leute als Verdächtige, zwei Frauen und drei Männer. Leider war der Datenbankauszug unvollständig, von einigen kenne ich nur den Vornamen, von anderen nur den Nachnamen. Ich weiß (auch aus der Datenbank), daß alle fünf in verschiedenen Ressorts ihrer jeweiligen Zeitungen schreiben und daß alle fünf für verschiedene Zeitungen arbeiten, aber leider nicht für welche. Es ist sehr frustrierend" seufzte der Inspektor und nippte weiter an seinem Scotch.

"Also, wie geht es nun weiter?" bohrte Jock wieder nach, denn sein Zug ging in einer dreiviertel Stunde und er wollte alles über diesen faszinierenden Fall wissen.

Dumberley antwortete: "Nun, da wußte selbst ich über den Ruf dieser Kneipe Bescheid. Und so versteckte ich einen Kassettenrekorder in der Tasche meines Regenmantels und mit einem als Kravattenanstecknadel getarnten Mikrofon habe ich den ganzen Tag dann hier verbracht, um auf möglichst unauffällige Weise Hinweise zu sammeln."

"Haben Sie hier Leute ausgefragt?"

"Ach woher! Wir wollen den Mörder bzw. die Mörderin nicht wissen lassen, wie nah wir schon sind. Ich habe nur Gesprächsfetzen, die ich für relevant hielt, mitgeschnitten"

"Zum Beispiel?" Jock blieb hartnäckig.

"Z.B: 'Helga heißt nicht mehr Paller, sie hat geheiratet', oder z.B: 'Neuerdings arbeitet jemand namens Rosse bei uns in der Bildredaktion' usw. usf." antwortete Inspektor Dumberley.

"Sie haben gar keine Fragen gestellt?" sagte Jock kopfschüttelnd.

"Sagte ich doch! Naja, also nachmittags, als kurzzeitig keiner hier war, fragte ich den Barkeeper, ob Kremer noch die Nachrichtenseite für den "Mirror" schreibe und ob Setler noch bei der "Times" sei."

"Und?"

"Nun, zwar ist Setler offensichtlich noch dort angestellt, aber Kremer habe sich in beiderlei Hinsicht geändert" antwortete Inspektor Dumberley.

"Also, wenn ich Sie richtig verstehe, arbeitet Kremer weder für den Mirror noch ist er/sie Mitglied irgendeine Nachrichtenredaktion?" Jock wollte nur auf Nummer Sicher gehen.

"Genauso. Dann hatte ich Zeit für nur noch eine kurze Frage an den Barkeeper, dann kamen wieder Gäste" sagte Dumberley. "Huh?"

"Ich fragte, ob die Journalistin, die für die Guardian arbeitet, Betty heißt. Er sagte "Nein" und fügte sarkastisch hinzu, daß das Mitglied der Sportredaktion im Mirror auch nicht Betty heißt. Dann wurden wir unterbrochen." Dumberley trank aus und bestellte noch zwei Scotch. Jock sah auf die Uhr. Noch 35 Minuten, bis zur Abfahrt seines Zuges. Er könnte doch noch einen Scotch trinken, besonders, da er dazu eingeladen war.

"Ja, und das war alles?" wollte Jock wissen "Haben Sie dann nur Negatives den ganzen Tag herausbekommen?"

"Jein. Ich habe gelernt, daß Manfred Preise weder im Nachrichten- noch im Sportressort arbeitet. Der Peter dagegen arbeitet weder in der Bildredaktion noch in der Schlußredaktion....."

"Gar nichts Positives?" wollte Jock noch wissen.

"Na ja. Doch. Der Peter arbeitet beim Daily Standard."

"Dann kann er den armen Rupert Murdoch nicht umgebracht haben" sagte Jock definitiv.

"Woher wissen Sie, wer der Tote ist? Den Namen hatte ich gezielt in dieser Kneipe nie erwähnt. Was haben Sie damit zu tun? Und woher, zum Teufel, meinen Sie zu wissen, daß der Peter nicht der Mörder ist?" fragte Inspektor Dumberley, plötzlich auf Jock aufmerksam geworden.

"Ruhig Inspektor! Ich bin nicht der gesuchte Mörder! Aber der Peter auch nicht. Denn der Name Rupert Murdoch stand in der Zeitung. Heute morgen als der Zug hier ankam, kaufte ich mir irgendeine Zeitung die ich nachher wegwarf. Da stand unter den Rubrik 'Letzte Neuigkeiten', daß der Zeitungsmagnat Rupert Murdoch erdrosselt worden war und daß alle Details in der morgigen Ausgabe stehen werden. Sozusagen ein Scoop! Daher weiß ich den Namen des Toten, Inspektor" sagte Jock.

"Und woher wissen Sie, daß Peter nicht der Mörder ist?" fragte Inspektor Dumberley noch mißtrauisch.

"Nun. Eine solche wichtige Meldung in nur drei Zeilen zu bringen bedeutet, daß ein Mitglied der Schlußredaktion sie einbrachte" sagte Jock und fuhr weiter fort: "Sie sagten selber, daß die Leiche vom Butler um sieben Uhr entdeckt worden sei. Ich kaufte meine Zeitung aber bei meiner Ankunft um halb sieben. Dies bedeutet, daß das Mitglied der Schlußredaktion schon vorher von Murdochs geheimgehaltenen Tod wußte. Und dies war nur möglich, wenn das Mitglied selbst der/die Mörder/in war. Und Peter arbeitet weder in der Bildredaktion noch in der Schlußredaktion, wie Sie selber sagten. Daher kann er nicht der Mörder sein. Alles klar, Inspektor?" triumphierte Jock.

"Aha. So ist es klar" grunzte Dumberley verärgert.

"Jetzt muß ich aber laufen, Inspektor. Mein Zug geht in nur fünf Minuten. Danke für die beiden Whiskies. Ich schulde Ihnen einen Gefallen. Na ja, wenigstens ist jetzt klar, wer der Mörder ist!" rief Jock als er aus der Tür in Richtung Bahnhof rannte.

"Warte doch!" brüllte der Inspektor, sein fetter Leib klemmte in der zuschwingende Tür. "Dann tun Sie mir den Gefallen jetzt und erzählen Sie, wer der Mörder ist. Ich weiß es immer noch nicht!"

"Aber Inspektor Dumberley, sei kein Dummerli! Sie haben alle Fakten, die Sie brauchen, um es selber abzuleiten! Sonst rufen Sie mich morgen früh in Edinburgh an" rief Jock zurück und verschwand in den Nachtzug.


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