Probefahrt auf eine 1953er 350 ccm DKW 'Singende Säge' 3 Zylinder

Ist es nun eine Kompressor-Maschine mit zwei Zylindern, wobei man den Pumpenzylinder als Arbeitszylinder getarnt hat? Diese etwas gewagte Frage über die 350 ccm Zweitakt DKW wurde, glaube ich, zum erstemal gegen Ende vorigen Jahres in Italien ausgesprochen. Aber die DKW-Leute brauchen über das Urteil ihres moralischen Standards nicht beleidigt zu sein. In der Tat können sie es

als Anerkennung der und ihrer eigenen technischen Geschicklichkeit werten, denn das Gerücht entstand aus der Tatsache als die Dreizylinder Maschine eine Geschwindigkeit entwickelte, die weit über der für möglich gehaltenen Leistung eines kompressorlosen Zweitakters lag.

Aber Gerüchte müssen stets mit aller Vorsicht behandelt werden: Diese Motorräder sind nicht anders, als ihre Kennzeichnung besagt; mit drei ehrlich arbeitenden Zylindern. In der letzten Woche habe ich eines dieser Modelle gefahren und mit Ausnahme von Wünsche, Kluge, Felgenheier und Wolf (dem Konstrukteur) war ich der Erste der je auf dieser Maschine gesessen hat.

Wir traten uns am Tage nach dem Juniorenrennen auf dem Berg, etwa gegen 6.30 Uhr früh. Eigentlich wollte ich Wunsches Maschine fahren, aber wegen eines Kolbenbolzen Defekts mußte ich das Rad des unglücklichen Kluge benutzen. Trotz mehrjähriger Praxis mit den verschiedensten Rennmaschinen habe ich mich noch nie so schnell an einen Renner gewöhnt und bestimmt habe Ich niemals zuvor - selbst bei 500 ccm TT Gewinnern - eine solche rasante, Vorderrad hebende Beschleunigung von 0 bis weit über 100 erlebt.

Es fehlt jede Megaphonitis, und selbst bei niedrigen Motordrehzahlen treten keine Aussetzer auf solange die Maschine zieht. Die DKW startet leichter, wenn kalt als im warmen Zustand und man braucht sie nicht vor dem Start warm laufen zu lassen, um sicher zu sein, daß das Öl seinen Dienst einwandfrei verrichtet, zudem kann sofort Vollgas gegeben werden. Es ist lediglich erforderlich, vor dem Start die Ölkontroll Schrauben für die Zylinderschmierung um eine halbe Umdrehung zu öffnen. Im vorigen Jahre traten Kolbenringbrüche auf, aber die zusätzliche Schmierung soll Abhilfe geschaffen haben.

Das 'Wilson-Vokabularium' kennt keinen Superlativ um die Leichtigkeit und Bequemlichkeit des Anschiebens der DKW zu beschreiben. Der Vorgang war für mich so neu, daß eh aus lauter Vergnügen die Maschine mehrmals startete. Zwei flotte Tritte nach vorn mit eingeschaltetem ersten Gang und schon kann die Kupplung losgelassen. Ich warf ein Bein über den Sattel und schon war ich in voller Fahrt mit einer Beschleunigung, die aus einer anderen Welt zu stammen schien. Das Vorderrad verbrauchte dabei fast genau so viel Zeit in der Luft wie auf der Fahrbahn

Es liegen verschiedene einleuchtende Ursachen für das Steigen des Vorderrades zugrunde: Einmal die ungeheure Kraft des Dreizylinder Zweitakters bei niedrigen und mittleren Drehzahlen. Dann das sehr niedrige Gesamtgewicht: mit 72 kg (trocken) ist die DKW wahrscheinlich leichter als die Mehrzahl der 125 ccm Rennmaschinen. Als dritter Punkt kommt die Sitzlage. Der Sitz liegt tief und weit zurück, auch die Fußrasten sind gut nach hinten gelegt. Der Lenker ist nur knapp über dem unteren Lenkjoch montiert. Es ist gar nicht so einfach, das nötige Gewicht auf diese Handgriffe zu verteilen.

Die Motordrehzahlen bauen sich blitzartig auf. Die höchste Drehzahl liegt bei 12000, aber sie kann bis 13000 ohne große Gefahr getrieben werden. Ein Tourenzähler fehlte an meiner Maschine, da die zugehörigen elektrischen Geräte nur eine Lebensdauer von zwei bis drei Runden haben, während die mechanischen Meßgeräte infolge ihrer Konstruktion den hohen Drehzahlen nicht gewachsen sind. „Drehen Sie den Motor bis er pfeift", riet man mir, und dann drehen Sie munter weiter, bis die Maschine nicht mehr schneller geht. Es wurde mir versichert, daß Ich keinen Schaden anrichten könnte.

Dieses waren pompöse Worte, darum tat ich mein schlimmstes. Ich hetzte den Motor hoch, bis ich sicher war, daß er sieh in seine Bestandteile auflösen würde, um dann schwer in die Bremsen zu gehen. Und gleich darauf das Gas wieder bis zum Anschlag aufzureißen, während ich aus den Kurve, kam. Im gesamten Drehzahlbereich war keine Vibration spürbar und die Kraftübertragung war so geschmeidig, daß man davon kaum etwas merkte. Die Getriebeschaltung war so gut. Wie die beste Schaltung nur sein kann. Leichtgängig, rapid und völlig sicher, ganz gleich wie schnell man schaltete (dabei ist das Getriebeaggregat nicht größer als der Magnet). Die Bremsen waren ungeheuerlich stark, aber für meinen Geschmack eine Idee zu heftig für ein solches Leichtgewicht. Ich nehme jedoch an, daß Wolf auf der Ausschau nach einer immer noch wirkungsvolleren Bremsanlage für künftige Maschinen ist.

In den Kurven wurde ich an meinen Besuch auf der Solitude im vorigen Jahr erinnert, als während des Trainings Kluge und Wünsche durch eine schnelle '2.-Gang Kurve' huschten. Damals hatte Ich das Gefühl, daß das, was ich sah, einfach nicht möglich sei!

Es schien mir fast, als ob dem Neigen der Maschine in den Kurven kaum eine Grenze gesetzt sei. Kein Schwimmen, kein Rutschen, nicht die geringste Instabilität. Beide Aufhängungen sind kräftig gedämpft und die Räder folgten sicher jeder Unebenheit der Fahrbahn.

Langsame und mittlere Kurven wurden mit Kupplung gefahren und es war keine weitere Anstrengung nötig, den Motor auf Touren zu halten.

Welche Höchstgeschwindigkeit oder Höchstdrehzahl ich auf der Berg Meile erreichte, vermag ich wirklich nicht zu sagen. Es besteht aber jedenfalls kein Zweifel, daß die DKW unheimlich schnell war, obwohl sie unter meiner Führung nicht Ihr Letztes hergab, weil die Vergasereinstellung für kaltes Wetter vorgenommen war. Bei dieser Gelegenheit aber war die Lufttemperatur trotz des frühen Morgens bereits beachtlich gestiegen. Kerzen und Auspuff wiesen auf ein fettes Gemisch hin. Wir haben alle drei Hauptdüsen um eine Nummer verkleinert, schraubten neue Kerzen ein, aber das Gemisch war immer noch fett. Und trotzdem reichte die Maximal Geschwindigkeit, um meine Wangen nach hinten zu drucken, bis ich glaubte, mir würde das Gesicht zerrissen, und als ich schließlich von der Maschine stieg, keuchte ich vor Anstrengung und Aufregung.

Es kann als eine anspornende Gewißheit bezeichnet werden, daß die DKW sich zu einer ernsten Konkurrenz in den großen kontinentalen Strassenrennen entwickelt und die Norton Überlegenheit in der 350 ccm klasse bedroht wird.

George Wilson

(Entnommen „The Motor Cycle", London, 1953).


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