Der Geist, der stets verneint...

(c) Stuart Savory, 1990

Thomas war sauer. Der alter Lehrer Dr. Frustus hatte ihn wieder vor der ganzen Klasse bloßgestellt. Gerade da, wo er so darauf erpicht war, den hübschen Gretchen zu imponieren. Zugegeben, weder in Religion noch in Deutsch war Thomas besonders begabt. Aber der Unterricht des Gruftis "Frustus" ödete ihm an. Heute war's Religion - morgen Deutsch. Und Thomas müßte eigentlich morgen Auswendiggelerntes aufsagen und hatte wieder nichts gelernt. So wie heute. Die Namen der zwölf Erzengel sollte er aufsagen. Zwei hatte er nur hingekriegt. Und Dr. Frustus schimpfte los:

"So unbegabt kann kein Christ sein. Thomas, manchmal glaube ich, du bist Satanist oder einer anderen dieser neuen Jugendsekten zugehörig. Im Religion bekommst du nur eine Sechs. Morgen sollst du ja im Deutschunterricht die zehn Wortarten erklären können. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn du das überhaupt schaffst. Du bist blöd, Junge. Setz dich!"
Thomas war sauer! So ein leerer Sack, dieser Dr. Frustus. Ihm wird er's mal zeigen!
"Satanist, Ey!" dachte Thomas "na ja, dann probiere ich es heute Nacht, rufe den Dämon um Hilfe!"

Mitternacht stand er allein bei Vollmond auf einer gottverlassenen Kreuzung zweier Feldwege und rief in der einsamen Nacht Gelerntes aus: "Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse, Befiehlt Dir: Dich hervorzuwagen, Und diese Schwelle zu benagen......."

"Guten Abend Thomas...." sprach eine tiefe Stimme hinter ihm. Thomas erschrak und drehte sich blitzartig um, vor Angst ganz bleich.
"We.. wer b-b-b-bist dann d-d-du" stammelte er, zitternd.

"Ich bin der Geist der stets verneint" antwortete die dunkle Gestalt. Ihr Gesicht war von einem großen schwarzen Zaubererhut bedeckt. "Und der kannst du auch sein Thomas. Denk dran: wenn der alte Dr. Frustus dich mit einem seiner Lehrsätze quält, dann brauchst du nur laut zu sagen 'Ich bin der Geist, der stets verneint. Und das glaube ich nicht'. Wenn du das laut sagst, dann wird es nicht mehr sein, so einfach ist es. Du bist der Geist der stets verneint!"

"Du bist Mephistopheles! Ich erkenne dich! Du willst nur meine Seele!"

"Aber Thomas! Sei nicht so voreilig! Wovor hast du denn Angst? Ich habe doch schon jetzt deine Seele, denn du hast mich freiwillig geholt. Aber du kannst jederzeit deine Seele zurückhaben, wenn du willst. Du brauchst mich nur zu rufen. Du muß nur laut die Zauberformel rufen: "Ich will meine eigene Seele zurück, mein dunkler Freund!" Dann erscheine ich sofort und gebe dir deine Seele zurück. Und wir haben beide Spaß, den Dr.Frustus zu peinigen. Mach doch mit, Thomas!"

"Ehrlich? Du gibst mir dann meine Seele zurück? Schwöre auf diesem Fünfstern einen Eid!"

"Das Pentagramma macht mir pein! Aber Thomas ich verspreche dir. Du rufst mich laut, wie ich soeben sagte, und ich erscheine und gebe dir deine Seele sofort wieder zurück. Dafür lege ich jetzt meine Hand ins Feuer..." sagte die schwarze Gestalt. Sprach's und verschwand.

Thomas rieb seine Augen. Hatte er nun Mephistopheles gesehen oder nicht? Oder hatte er nur alles geträumt? Ein kalter Wind blies durch seinen Körper. Er zitterte und begab sich schnell nach Hause. Schlafend vergaß er den Alptraum. Fast.

Am nächsten Morgen gab's zuerst Deutschunterricht. Dr. Frustus begann zu dozieren. Halbwach erinnerte sich Thomas an das, was sicherlich ein Traum war. Ein Alptraum? Nein, eher ein Wunschtraum. Er würde es wagen. Er würde dem Dr. Frustus stets widersprechen. Schlechter als eine Sechs könnte es nicht werden, dachte er. Er würde zum Geist, der stets verneint, dachte er und wunderte sich, wo dieses alberne Zitat herkam.

Dr. Frustus dozierte weiter "Die erste Wortart sind die Hauptwörter: Haus, Geld, Lehrer. Entweder sind sie greifbare Gegenstände oder körperlose Begriffe wie: Glück, Liebe, Ruhm. Die können ersetzt werden durch Fürwörter, also Pronomen wie: Er, dieser, du, jener, derjeniger...."

"Ich bin der Geist der stets verneint und das glaube ich nicht!" rief Thomas lauthals.

"Nicht unterbrechen Thomas!" brüllte Dr. Frustus "Thomas ist ein Ekel. Thomas widerspricht Dr. Frustus! Widerspruch ist verboten. Sei leise!"

Mensch redete der Lehrer plötzlich komisch, dachte die ganze Klasse. Was war los? Thomas wußte es. Der Frustus hat kein einziges Fürwort verwenden können, dachte er. Es klappte tatsächlich!

Dr. Frustus fuhr fort, ohne zu bemerken, daß in der deutschen Sprache keine Pronomen mehr ausgesprochen werden konnten. "Hauptwörter werden durch Eigenschaftswörter beschrieben wie: klein, dumm, faul. Beispiel: Thomas ist ein kleiner, dummer, fauler Schüler!"

"Thomas ist der stets verneinende Geist und die Aussage von Dr. Frustus glaubt Thomas nicht!" rief Thomas verärgert.

Dann merkte er etwas Komisches. Die zuvor getroffene Verneinung galt wohl auch für ihn. Zwar konnte er noch mit Fürwörtern und Eigenschaftswörtern denken, aber (auch) er konnte sie nicht mehr aussprechen so wie es sich anhörte. Er fühlte sich leicht verunsichert. Er mußte diese These testen. Inzwischen dozierte Dr. Frustus nichtsahnend weiter:

"Thomas sei der Ruhigste!" donnerte er "Das Wichtigste aber, Kinder, sind die Tätigkeitswörter: Beispiele: verteufeln, schwören, lügen...."

"Thomas lehnt Dr. Frustus These ab! Tätigkeitswörter existieren nicht!" brüllte Thomas wütend.

"Wortlosigkeit, Wortlosigkeit, Wortlosigkeit, Thomas!" rief Dr. Frustus verärgert zurück. Und Thomas merkte - plötzlich verängstigt - wie komisch seine Aussprache war. Schluß mit dem Spaß dachte er. Denn wenn die Verneinungen auch für ihn selbst galten? Es würde Zeit, Mephistopheles wieder laut zu rufen, dachte er, damit der Spuk vorbei sei und er wieder seine Seele zurückbekäme. Wie lautete der Ruf nochmal?

Als er seinen Mund öffnete, um den seelenrettenden Spruch zu sagen, merkte er allmählich das teuflische Faustpfand......


Index/Home Impressum Sitemap Search new/neu