Nomen est Golem

(c) Stuart Savory, 1987

Es war im Jahre 2040 als Jock MacDonald und seine Frau sich zur Ruhe setzten. Seine Frau hatte gleichzeitig ihren 130ten Geburtstag und Jock beschloß, ihr ein tolles Geschenk zu machen. Sie waren beide nicht mehr so sicher auf den Beinen wie früher und so entschied er, einen Pfleger anzustellen. Die Leute von der staatlichen Pflegeversicherung waren allesamt Zwangspfleger, unwillig und mürrisch; junge Leute, die früher zum Wehrdienst einberufen worden wären, als die Kriege noch nicht abgeschafft waren. Die private Pflege konnte man sich dagegen nicht leisten, so enorm teuer war sie. Aber der sparsame Schotte Jock MacDonald hatte von einer neuen, dritten Möglichkeit gelesen.

Neu auf dem Markt gekommen waren Haushaltsroboter. Diese Roboter konnten, falls erforderlich, auch zum Krankenpfleger ausgebildet werden. Jock las die Prospekte, im Videotext versteht sich, denn Papier war auch abgeschafft worden, um die Wälder der Welt zu retten. Als treuer Nationalist dachte er zuerst an die Haushaltsroboter, die in Schottland hergestellt wurden. Laut Prospekt waren sie kariert angemalt und hatten solche Adleraugen, daß sie ein auf der Erde liegendes Pfennigstück aus einer Meile Entfernung sehen konnten. Zudem waren sie umweltfreundlich, aus wiederaufgearbeitetem Autoschrott hergestellt, und aus Gründen der Materialersparnis ziemlich klein gebaut. Da sie aber alle witzigerweise auf den Namen Jock antworteten, entschied er sich gegen dieses schottische Modell, da er sonst einige Verwirrungen bei Zurufen zu erwarteten gab.

Seine zweite Wahl fiel auf die deutschen Roboter, denn diese hatten den Ruf, von guter Qualität zu sein. Er konnte sich aber nur das billigste Modell leisten, stellte er fest, denn die deutschen Roboter waren überteuert. Die deutschen Billigmodelle hatten eine wunderschöne Lockenpracht, fein gekämmt, als ob sie in einem früheren Leben mit einer Friseuse befreundet gewesen wären. Sie wurden auch aus Recycling-Autos hergestellt, die Billigmodelle aus Opel-Mantas. Sie antworteten auf den Namen "Manny". Die teurste deutsche Modellen waren durch und durch schwarz mit Öl, gut geschmiert, und antworteten auf den Namen "Helmut". Letztere hatten sogar einem Empfehlungsschreiben einer ehemaliger Bundesregierung.

Nun, als sparsamer Schotte, der er eben war, informierte sich Jock auch über die günstigen neuen Modelle aus Fernost. Emsig und stark waren sie alle laut Stiftung Warentest. Äußerst preisgünstig waren sie ebenfalls, wenn auch mit einigen kleineren Nachteilen ausgestattet. Sie waren alle gelb angestrichen, hießen alle Wong-Ki und, aus Gründen der Sparsamkeit in der Herstellung, fehlten die Gesichtsmuskeln. Zudem hatten sie Probleme mit der breiten Vielfalt der deutschen Sprache, denn sie waren ursprünglich für den amerikanischen Markt konzipiert, wo man mit einem sehr beschränkten Wortschatz und sehr direkter Befehlssprache auskommt.

Laut Stiftung Warentest konnten diese Fernostroboter nur direkten Befehlen folgen. Sie kamen mit indirekten Sprechakten nicht zurecht. Dies bedeutet: Wenn ein Mensch sagte "Mir ist zu kalt!" kam der Roboter nie und nimmer auf die Idee die Fenstern zu schließen, wie es ein vernünftiger Mensch jederzeit tun würde.

Jock schaute in die unter seiner Matratze versteckte Socke, zählte sein ganzes schwer erspartes Geld zusammen, überlegte nicht lange und bestellte den billigsten Roboter, der aus Fernost angeboten wurde. Für seine Frau sollte das Geschenk eine Überraschung sein, also erzählte er ihr nichts davon, erst recht nicht von den angeblichen Nachteilen, denn sie könnte ihm sonst den Vorwurf machen, ein Geizhals zu sein.

Pünktlich zum 130ten Geburtstag seiner Frau Florence klopfte es an die Wohnungstür und der Mann von United Parcels lieferte den (noch nicht eingeschalteten) Wong-Ki Roboter. Damit ein Roboter wußte, wem er zu gehorchen hatte, mußte er von just diesem Menschen eingeschaltet werden. Der Roboter prägte sich dann dieses Gesicht ein, so wurde Florence zum "Frauchen" von Wong-Ki.

Florence war total begeistert von Wong-Ki und ließ ihn das Mittagessen machen und im Eßzimmer servieren. Klare Befehle wurden sofort befolgt. Während Jock in die Kneipe ging, um mit der neuen Errungenschaft zu prahlen und Florence ihren Mittagsschlaf hielt, lud sich Wong-Ki an der Steckdose auf. Dadurch wurde seine Kraft verstärkt, aber leider nicht sein Gehirn. Das Gehirn ist der teuerste Teil eines jeden Roboters und zum besseren Schutz vor Unfällen war es im Körper versteckt, dort wo Menschen ihren Darm haben. Der Kopf eines Roboters diente nur dazu, die Augen möglichst hoch zu tragen und die Ohren mindestens so weit auseinander zu halten, daß der Roboter in Stereo hören konnte (sog. ostfriesisches Design).

Als Florence aufwachte, war es bereits spät am Nachmittag. Und am diesem Tag drohte Besuch zu kommen, denn es war ja Geburtstag. Florence war zwar noch schlaftrunken als die Uhr drei schlug, aber sie wußte ja, daß sie ihren Roboter einsetzen konnte.

"Geh doch mal schnell mit dem Staubtuch durchs Wohnzimmer!" rief sie, bevor sie nach oben verschwand, um sich umzuziehen. Wong-Ki ging schnurstracks in den Abstellkammer, um ein Staubtuch zu holen und eilte zum Wohnzimmer damit. Mit frisch vollgeladenen Batterien schaltete er in den vierten Gang, um möglichst schnell durch das Wohnzimmer zu gehen, wie sein Frauchen ihm befohlen hatte. Solch klare Befehle verstand er genau! Er drehte seine Motoren hoch und mit jaulend durchdrehenden schwarzen Reifen durchquerte er das Wohnzimmer auf dem glatten (gestern gebohnerten) Parkett.

Da er seine Kraft unterschätzte, stieß er Stühle und den mit dem teuren Kaffeeservice vorbereiteten Tisch in der Eile blindlings um. Er erreichte die andere Zimmerseite in weniger als einer Sekunde, just als das Kaffeeservice klirrend auf den Boden fiel. Er war stolz auf sich, denn so schnell mit dem Staubtuch durch das Wohnzimmer zu gehen hätte bestimmt kein menschlicher Haushälter geschafft.

Florence aber hörte nur, wie in der Küche der Wasserkessel pfiff. "Dreh doch mal das Wasser klein!" rief sie die Treppe hinunter. Wong-Ki rollte gemächlich und zufrieden dahin und wunderte sich, woher die vielen Scherben kamen, denn vorhin waren sie nicht da, er hätte sie bestimmt bemerkt.

Inzwischen war fast alles Wasser zu Dampf geworden. Wong- Ki sah sich den fast leeren Wassertopf an und rief nach oben: "Das Wasser ist jetzt schon klein und überhaupt, woran soll ich drehen, das Wasser hat keinen Drehknopf?"

"Dreh' auf dem Herd, Doofkopf, dreh' links herum!"

Wong-Ki überlegte nicht lange, sondern beeilte sich, um diesem neuen Befehl (wie er ihn verstand) Folge zu leisten. So stieg er wunschgemäß auf den noch heißen Herd, lockerte seine eigenen Nackenschrauben, und, wohlwissend daß sein kluges Gehirn sich sicher in seinem Bauch befand, drehte er seinen Doofkopf um 180 Grad links herum.

Nach einer kurzen Weile fiel ihm ein erbärmlicher Gestank auf; seine Gummiräder schmolzen dahin. Nun, da der Auftrag erfüllt war, sprang er wieder vom Herd herunter. Da aber sein Gesicht inzwischen nach hinten zeigte, konnte er nicht genau sehen, wo er hinsprang. Er rutschte auf seinen schlüpfrig gewordenen Gummirädern aus und landete mit seinem breiten Hintern voll in der wunderschönen großen Cremetorte, die der Bäcker geliefert hatte. Langsam richtete er sich auf, drehte sich um und wunderte sich, wie dieses Schlamassel entstanden war.

Als Florence die Treppe herunterkam und die Küche sah, fiel sie beinahe in Ohnmacht. "Du Doofkopf, was hast du hier gemacht?" schrie sie Wong-Ki an.

"Ich habe meinen Doofkopf links herumgedreht, wie befohlen, auf dem Herd!"

"Stell dich nicht so an", brüllte Florence, nervlich fast am Ende.

"Ich stelle mich nicht an. Du stellst mich an. Deswegen folge ich allen deinen Befehlen genauestens!"

Florence wurde allmählich klar, daß dieser Roboter nicht ganz in Ordnung war. Aber sie dachte an die bald eintreffenden Gäste und beschloß, eiligst im Kaufhof um die Ecke einige Cremetorten besorgen zu lassen. Sie würde den Roboter losschicken, während sie selber hier aufräumte. "Geh' zum Kaufhof um die Ecke, dort wo zur Zeit umgebaut wird. Geh' in den zweiten Stock und bring mir zwei frische Cremetorten. Beeil dich, ich kann gar nicht sehen, wie du bummelst!" schrie sie Wong-Ki an.

"Du auch nicht? Dann muß ich uns beiden den Hals wieder umdrehen", schlußfolgerte der Roboter.

"Nein!!!" schrie Florence in plötzlicher panischer Angst. "Dreh nur deinen eigenen Kopf wieder um, dann geh' sofort zum Kaufhof" Florence dachte aber, so doof wie er ist, wird er womöglich jemanden verletzen. Also rief sie vorbeugend ihm nach "Folge nicht nur meinen Befehlen, sondern folge allen Befehlen, die du unterwegs bekommst!"

Der Roboter verließ das Haus, eine stinkige klebrige Spur von heißen Gummirädern nach sich ziehend. Florence säuberte schnell die Küche, entfernte die zerbrochenen Teller aus dem Wohnzimmer und deckte den Tisch neu. Alles war wieder bestens.

Just, als der Kaffee erneut kochte, ging die Tür auf. Erleichtert stellte Florence fest, daß es nur ihr Mann Jock war mit den Geburtstagsgästen. Der Roboter könnte ihretwegen wegbleiben auf ewig.

"Setzt Euch, ich mach' gerade Kaffee"

"Das kann doch Wong-Ki für uns machen, er ist der perfekte Diener" prahlte Jock. "Übrigens, wo ist er?"

"Er holt gerade neuen Kuchen, der andere muß zu weich gewesen sein, er ging jedenfalls ganz schnell in die Breite", antwortet Florence und versuchte, ihren Mann vom Thema des Roboters abzulenken.

Aber Jock prahlte weiter: "Das ist ein ganz neues Modell aus Japan, der tut genau alles, was man ihm befiehlt."

"Jawohl", antwortete Florence mürrisch. Sie wurde aber unterbrochen als die Türglocke erneut läutete.

"Nanu, alle Gäste sind schon hier und Wong-Ki hat selber einen Schlüssel." sagte Jock "Ich schau mal nach."

An der Tür standen zwei Polizisten mit dem Roboter in Handschellen. "Gehört Ihnen diese Maschine, mein Herr?" fragte der eine Polizist mit finsteren Miene.

"Ja, sicher", antwortete Jock, unwissend was Wong-Ki alles angestellt hatte. "Was ist denn passiert?"

"Der Roboter erschien um 15:12 Uhr im Kaufhof" las der zweite Polizist aus seinem tragbaren elektronischen Notizbuch. "Der Kaufhof ist zur Zeit eine Baustelle, wie Sie wissen. Der Roboter las dort das Schild 'Auf dieser Baustelle müssen Helme getragen werden'. Dies verstand er als Befehl. Also nahm er von einem dort weilenden Bauarbeiter den Helm, setzte ihn auf und betrat die Baustelle...."

"Aber Roboter brauchen keinen Helm!" sagte Jock "Helme werden dazu benutzt, das Gehirn zu schützen. Roboter haben aber ihre Gehirne im Magen, brauchen daher auch keinen Helm. Abgesehen davon, bloß weil er einen Helm ausgeliehen hat, brauchen Sie ihn nicht festzunehmen..."

"Es ging aber weiter, mein Herr!" sagte der Polizist mit finsterer Miene. "Ihr Roboter betrat, wie gesagt, das Kaufhaus. Dort las er das Schild 'Auf dieser Rolltreppe müssen Hunde getragen werden'. Also ging er wieder auf die Straße, schlug eine dort gehende harmlose Oma erbarmungslos nieder, riß ihren kleinen Pudel an sich, eilte zur Rolltreppe, setzte sich den armen erschrockenen Pudel auf den Kopf und bestieg triumphierend die Rolltreppe."

"Aber, aber, aber..." Jock rang nach Luft.

"Mein Herr, ihr Roboter wird wegen versuchten Mordes angeklagt. Wir nehmen ihn mit", sagten die Polizisten "Als Besitzer müssen Sie und ihre Frau auch sofort mitkommen".

Jock torkelte benommen zurück ins Wohnzimmer, wo die Gäste gerade im Wandfernsehen die Lokalnachrichten anschauten.

"Zugegeben, unser Wong-Ki ist ein bißchen doof," sagte just Florence "aber so gefährlich wie dieser Kaufhof-Amokkiller im Fernsehen ist er nicht. Wo kämen wir dann hin..."


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