Mit dem Motorrad durch England in 1924; Teil 1 von 2.

Geschrieben 1924 vom Ersten Akademischen Club für Motorradsport, München.

Etwaige Zeichenfehler liegen an mein OCR (Zeichenerkennungs-) Programm und der verfallende Original; Sorry!


Auf nach England !

Eines Tages stand es im Klub fest: Die nächsten Ferien werden mit einer Studienreise nach England ausgefüllt. Es läßt sich nicht mehr feststellen, wer zuerst auf den Gedanken kam; auf jeden Fall ist er auf das berühmte Thema „England - Deutschland" in Motorradverkehr und Sport zurückzuführen, daß in jedem Motorradklub von Zeit zu Zeit die Gemüter bewegt.

Als der Entschluß einmal gefaßt war, wurde ein Reiseprogramm ausgearbeitete wobei uns der Royal-Automobile-Club die Auto-Cycle-Union liebenswürdigerweise unterstützten.

Wir kämen zu dem Entschluß, die Überfahrt von Hamburg nach Grimsby anzutreten, um nicht gleich in England in den dichten Londoner Straßenverkehr zu kommen, sondern uns erst in verkehrsärmeren Gegenden an das Linksfahren gewöhnen zu können.

Als der Tag der Abreise gekommen war, trafen sich 7 Mann unseres Clubs - in Hamburg, alle mit deutschen Maschinen ausgerüstet. Es waren eine DKW, eine kleine, Wanderer ein D-Rad, zwei BMW., eine Mabeco und eine neue große NSU, Wenn wir auch bedauerten, nicht, eine größere Anzahl deutscher Maschinen mit nach England nehmen zu können, so hofften wir doch, schon mit, dieser Auswahl englischen Sportkreisen ein Bild von dem Standard der deutschen Motorradfabrikation geben zu können.

Im Hamburger Hafen waren wir zu der Besichtigung, der Ossag Öl- Werke eingeladen. Diese gab uns erst einen Begriff, was alles dazu gehört, um ein einwandfreies Schmiermittel herzustellen. Die Öle müssen nicht nur gereinigt, sondern auch ihrem Verwendungszweck entsprechend verarbeitet werden. Im Laboratorium sahen, wir den Einfluß guter und schlechter Öle auf die Maschinen, und es wäre nur erwünscht, wenn die Erkenntnis für die Notwendigkeit der Verwendung geeigneter Schmiermittel in alle Kraftfahrerkreise dringen würde.

Nach diesem Besuch wurden , unsere Maschinen, eine nach der anderen, am Kran zwischen Himmel und Wasser schwebend; an Bord gebracht. Es war schon dunkel, als wir die Elbemündung an Blankenese, Rotenbürgsort vorüber in die Nordsee hinausfuhren. Als wir am übernächsten Morgen erwachten, wurde gerade in Grimsby Docks angelegt.

Bei unserer Ankunft wurden wir durch einen Vertreter des RAC Clubs empfangen, Außerdem hatte der RAC die Hafenbehörde benachrichtigt und durch seine Bürgschaft fielen die ganzen Einreiseformälitäten weg, Die Triptyques wurden von der Zollbehörde abgestempelt und nun hätte die Reise beginnen können, wenn nicht in England außer den Heimatkennzeichen noch eine besondere Ausländer-Lizenz, die kostenlos erteilt wird, sichtbar am Fahrzeug anzubringen wäre. Diese wird aber nur in London ausgegeben, und nun war guter Rat teuer.

Die Polizei bemüht sich zu helfen., Es wird nach London telephoniert, während dessen einer der Polizeibeamte Zigaretten anbietet. Inzwischen, hat das Erscheinen der deutschen Motorräder in Grimsby eine kleinen Sensation hervorgerufen, was sich schon daraus erklärt, daß der Engländer viel mehr Interesse am Motorrad hat als wir. Mehr als einmal müssen wir über die Maschinen Auskunft geben. Aus London kommt dann die Mitteilung, daß wir auch ohne Lizenz die Reise nach Newcastle antreten sollen, wohin diese für uns geschickt wurden. Newcastle liegt 300 km nördlich von Grimsby. Die Aufnahme in Grimsby war außerordentlich liebenswürdig, und man hätte uns gern einige Tage da behalten, wenn es sich mit den getroffenen Reisedispositionen hätte vereinbaren lassen. Da dies leider nicht der Fall war, fahren wir bald ab. Einige Herren des Grimsby Motorrad Clubs begleiteten uns noch ein gut Teil des Weges, auf den wir uns mit etwas gemischten Gefühlen begaben. Was wird es wohl geben, wenn wir ohne Lizenz angehalten werden? Wird man uns glauben?

Die englischen Straßen

Bald waren diese Sorgen vergessen, Schon kurz nach Grimsby liegt die Landschaft vor dem Fahrer wie ein großer Garten, Eine tadellose Asphaltstraße ohne Beglichen Staub und von geradezu idealer Beschaffenheit führt uns durch saftige Wiesen. Rechts und links der Straße ein Grasstreifen von ziemlicher Breite und dann eine meist etwa einen Meter hohe Mauer oder Hecke, Baumreihen an den Chausseen gibt es nicht, aber ab und zu seitlich der Straße dichte uralte Baumgruppen Das ist die typische englische Landstraße, wie wir sie überall antrafen. Manchmal sind die Mauern oder die Hecken höher, aber die Straßendecke ist immer die gleiche. Zunächst waren wir überrascht; das Fehlen Beglichen Staubs und der Chausseebäume erweckt den Eindruck, daß man sich nicht auf freier Strecke, sondern in einem Garten befindet. Diese Wirkung wird noch unterstützt durch die Gutshöfe, die einzeln und leichten Dörfern an der Straße liegen und stets mit einem gut gepflegten Ziergarten umgeben sind. In dieser Gegend sind die Häuser, gleichgültig, ob alt oder neu, im alten normannischen Stile gebaut, und dies gibt der Landschaft einen ganz eigenartigen Reiz,

Abgesehen von einigen Hauptausfallstraßen in der Nähe der großen Städte sind die Straßen im allgemeinen wesentlich schmaler als in Deutschland, aber ihr Zustand ist im Vergleich zu deutschen, Verhältnissen als ideal zu bezeichnen. Besonders angenehm empfindet man, daß die Asphaltstraße auch durch die geschlossenen Ortschaften hindurch führt und nicht durch Kopfsteinpflaster abgelöst wird.

Auf den alten Unterbau der Straßen ist eine vielleicht 15 cm starke, mit Gußasphalt gebundene Klein-Schotterschicht aufgebracht, in die ähnlich der Eisenbeton Bauweise, der Länge und Breite, nach Eisenstäbe eingewalzt sind. Diese Decke ist elastisch und kann nicht mal Löcher bekommen' weil sie durch die Eisengitter zusammen. gehalten werden.- Kleine Senkungen lassen sich leicht ausbessern, Auf die so schon fahrbare Decke wird noch ein Überzug von Gußasphalt mit Kies gebracht, der so gebunden ist, daß er sich niemals ablöst. So wird eine Straßenoberfläche geschaffen, die keinerlei Löcher aufweist, aber so rauh ist, daß auch im Regen ein Abrutschen unmöglich ist.

Wie wir, auf der ganzen Reise feststellen konnten, sind abgesehen von einigen ganz nebensächlichen Bergstraßen sämtliche englischen Straßen gleich oder doch mindestens ähnlich. Man hat sich darauf beschränkt die alten Highways dem modernen Verkehr anzupassen, wobei es viele Schwierigkeiten gab, die nicht alle überwunden werden konnten.

Da die Straßen in früheren Jahrhunderten ohne jede Rücksicht an den einzelnen Besitztümern entlang geführt wurden, sind sie häufig sehr kurvenreich wegen der einfassenden Mauern, und Hecken, die auch heute noch nicht beseitigt sind, manch mal sehr unübersichtlich. Dies kommt besonders bei Straßenkreuzungen zur Geltung.

Man bemüht sich daher nach Möglichkeit, in verkehrsreichen Gegenden die Straßen zu verbreitern und vor allen an den Kreuzungen die Ecken stark abzurunden, was aber nicht leicht ist, da die durch Tradition erhaltenen Einfassungen der einzelnen Besitztümer geschützt sind. Die englischen Kraftfahrerverbände haben daher , in letzter Zeit ihre Tätigkeit hauptsächlich auf die Straßenorganisation verlegt. Außerhalb der Städte, wo der Verkehr wie bei uns durch Polizei geregelt wird stehen an den Kreuzungen uniformierte Beamte der Clubs, welche den Verkehr in gleicher Weise regeln. Es richtet sich jedermann danach, weil es in eigenen Interesse ist. Diese Posten haben aber auch noch die Pflicht, jedem Kraftfahrer mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wozu Sie, in einem kleinen Häuschen Kartenmaterial, Werkzeuge und Telefon zur Verfügung haben, Soweit die Straßen unübersichtlich sind, in Kurven, Kreuzungen, Geländewellen, ist die Fahrbahn durch einen etwa 10 cm. breiten weißen Strich in zwei Hälfte geteilt, und da jeder Fahrer, die ihm vorgeschriebene Fahrbahn einhält, ist die Gefahr eines Unfalls sehr herabgesetzt. Brennstoffzapfstellen, bei denen man meist mehrere Sorten Öl und Brennstoff erhält, sind längs der Landstraßen verteilt, oft in Abständen von nicht einmal 500 m. Nicht immer sind sie mit Garagen oder Reparaturwerkstätten verbunden, sondern werden von irgendeinen Straßenanlieger, Gasthaus, Landwirt usw. bedient. Jeder Straßenbenutzer hat sich an die Straßendisziplin gewöhnt und ordnet sich freiwillig in den Verkehr ein, Gefährliche Stellen sind durch ein rotes Dreieck auf weißem Pfahl markiert. In besonders wichtigen Fällen befindet sich unter dem Dreieck noch eine Tafel mit einer besonderen Markierung wie "Schule", "Hospital", "Steiles Gefälle", "Unübersichtliche und unbemerkbare Wegkreuzung". Rechts und links der Straßen befindet sich meist Weideland, nur selten durch kleine Waldstücke oder Getreidefelder unterbrochen.

Nordwärts in Ost- England

Am ersten Tage wollten wir York erreichen und die interessante Stadt besichtigen, mußten aber weiterfahren, da wir keine Quartiere bekommen konnten. Auch in England ist Ferienreisezeit. Die von vielen Engländern dazu benutzt wird, mit dem Kraftfahrzeug zu wandern. Daher bekommt man schwer am Abend noch irgendwo Unterkunft. So mußten wir uns entschließen, weiterzufahren und fanden erst gegen 10 Uhr abends in voller Dunkelheit in einem alten Gasthof ein Unterkommen. Am nächsten Tage hielt uns in Darlington die Polizei wegen der fehlenden Lizenz an. Erstaunt waren wir darüber, daß man sich sofort mit unseren Erklärungen zufrieden gab. Weniger angenehm waren wir von dem Verschwinden eines unserer Kameraden berührt, der nicht mit angehalten worden war. Als wir ihn auch nach stundenlangem Suchen nicht finden konnten, baten wir die Polizei ihn schnellstens zum RAC Büro nach Newcastle zu. weisen, falls er gesehen werden sollte. Ohne dafür eine Gebühr zu berechnen, wurden sofort sämtliche Polizeistationen im Umkreis von 50 km benachrichtigt.

Wir machten uns inzwischen nach Newcastle auf den Weg und konnten unterwegs durch Nachfragen bei den von den Kraftfahrerverbänden unterhaltenen Radfahrerstreifen davon überzeugen, daß unser Kamerad auch allein. die Richtung nach Newcastle gefunden hatte, wo er am Stadteingang auf uns wartete. In der Umgebung beobachteten wir. viele Kohlengruben, die aber durch den Streik alle stillstehen und deren Übertage Einrichtungen recht veraltet anmuten. Newcastle ist eine große schmutzige Industrie- und Hafenstadt mit außerordentlich starkem Verkehr. Trotz dieses starken Verkehrs muß an der Brücke, welche über den Tyne führt, für jedes Fahrzeug Brückenzoll bezahlt werden, der für ein Kraftrad allein 3 Pence beträgt. Im weiteren Verlauf unserer Fahrt haben wir nur noch in einem Falle Brückenzoll zahlen müssen. In Newcastle konnten wir beweisen, daß wir uns schon, recht gut an das Linksfahren gewöhnt haben. Obwohl die Stadt viel Sehenswertes bietet, waren wir froh, wieder herausgekommen zu sein, nachdem wir vom RAC Büro unsere Lizenzen erhalten hatten, In Newcastle, wo unsere Motorräder auch wieder einen großen Auflauf hervorriefen, hatte man uns den landschaftlich schönsten Weg nach Edinburgh beschrieben, aber hinzugefügt, daß der Zustand nicht gut sei. Unsere Enttäuschung war, aber nur angenehm, die Avus ist auch nicht viel besser. Man kann sich danach also vorstellen, was in England gute Straßen sind.

Wenige Meilen hinter Newcastle ändert sich plötzlich das Landschaftsbild. Die Ebene hört auf, und es geht hinauf fast bis zu 1000 m. In tieferen Regionen wächst nur Gras und oben nichts als Heidekraut. In den Tälern finden sich, wenn Wasser vorhanden, herrliche Parks und dar innen meist versteckt liegende Schlösser, welche von der Geschichte des Landes erzählen. Stets gehört dann noch ein Dorf mit kleinem Gasthaus dazu. Hier findet sich der normannische Baustil nur vereinzelt. Die Häuser sind meist alte Fachwerkbauten wie man sie von alten englischen Bildern kennt. Diese alten Gasthäuser, die schon einmal zur Zeit der Postkutsche, teilweise sogar noch früher, ihre Bedeutung hatten sind zu neuem Leben erwacht. Nur findet man in den Schuppen und ebenso in den Pferdeställen an Stelle der alten Reisewagen. Automobile und Motorräder, deren Besitzer hier über Nacht bleiben. Die Inneneinrichtung ist meist noch so, wie sie schon vor Jahrhunderten war. Zu ebener Erde nach, der Straßenseite befindet sich die Schankstube für das einfache Volk und ein großer, aber anheimelnd mit alten Möbeln eingerichteter Empfangsraum. Alte Ölgemälde, der große gemütliche Kamin mit alten Fayencen, die unvermeidliche Westminster Uhr und tiefe bequeme Sessel vollenden die Einrichtung. Nach dem gut gepflegten Garten zu liegt ein großer Verandenartiger Speiseraum mit bunten Butzenscheiben. Wenn sich in den unteren Räumen schon schüchtern die elektrische Beleuchtung ausbreitet, so sind die oben liegenden Schlafzimmer hiervon noch unberührt. Auf dem Vorsaal steht eine ganze Anzahl Zinnleuchter mit Wachskerzen zur Verfügung der Gäste. Die Betten, mit einem auf schweren Säulen ruhenden Himmel, sind alle groß genug, um zwei oder auch gar drei Personen aufnehmen zu können. Da die Anzahl der Hotels und vor allem der Betten dem gesteigerten Landstraßenverkehr nicht mehr genügt, ist es ganz selbstverständlich geworden, daß mehrere in einem Bett schlafen, woran auch wir uns bald gewöhnt hatten.

Hier in den Cheviot Hills sieht man nichts als Heidekraut und die berühmten Cheviot Schafe, von denen die kostbare Wolle kommt. Nie sieht man sie in Herden zusammen. Wo die Straßeneinfassung fehlt, liegen sie oft dicht an der Straße, beobachten interessiert den Verkehr, lassen sich aber keinesfalls stören, behindern aber auch den Verkehr nicht. Auch die anderen Tiere haben sich an den Kraftfahrzeugverkehr gewöhnt, Hühner und Enten laufen hier nie frei auf der Straße umher, und die Hunde blicken sich höchstens einmal nach einem Kraftfahrer um.

In Schottland

Der höchste Kamm der Cheviot Hills ist die Grenze zwischen England und Schottland, die durch eine Tafel markiert ist. In steilen Windungen geht es bergab. Kilometerweit sieht man die Straße. als einzige Unterbrechung der großen Heideflächen, als Abwechslung die Telegraphen Masten sonst kein Baum, kein Strauch. Eine Berghänge sind überall mit meilenlangen schwarzen durchzogen, niedrigen etwa 1 m hoben Mauern, wie wir sie schon als Straßen Einfassungen kennengelernt hatten. Hier bilden sie die Grenzen zwischen den einzelnen Grafschaften oder sonstigen Herrensitzen. Ist auch oft meilenweit kein Haus zu sehen, so ist man doch auf der Straße nicht verlassen. Obwohl der Verkehr nicht so dicht ist, wie in anderen Gegenden, so haben wir festgestellt, daß nie mehr als 3 Minuten vergangen sind, ohne daß uns ein Wagen oder Motorradfahrer begegnete. Hier sind auch die Benzintankstellen wesentlich seltener anzutreffen, als in verkehrsreichen Gegenden und so mußten wir auch einmal die Hilfe einer der Motorradseitenwagen Streifen des RAC in Anspruch nehmen. Diese führen Betriebsstoffe, wichtige Ersatzteile, Werkzeuge und Verbandszeug mit sich und helfen jedem Kraftfahrer, der einem der maßgebenden Verbände angehört, kostenlos. Im ganzen werden von den verschiedenen Verbänden 1500 solcher Streifen unterhalten.

Die Talfahrt nach Schottland ist lebensgefährlich, Hier war die steile Straße tatsächlich schlecht, sogar sehr schlecht, wie man es in Deutschland auch nur selten findet. Das ging aber nur wenige Kilometer so, bis das steile Gefälle zu Ende war, auch die Landschaft wechselte plötzlich, saftige fette Wiesen an den Berghängen herrliche Laubwälder, meist Eichen, Buchen, mit dichtem Efeu bewachsen. Hier sieht man viele der alten Herrensitze, die durch hohe starke Mauern voneinander abgegrenzt sind. Wir befinden uns in dem alten Kultur-, aber auch Kampfgebiet zwischen England und Schottland. Viele der alten Schlösser sind noch Ruinen. Jedes Städtchen hat seine alte Abtei, die mehr oder weniger zerstört ist. Aber auch die Reste zeugen noch von dem hoben Kultur-, zustande, der schon im Mittelalter hier oben geherrscht hat. Im Tweedale zwischen Melrose und GaIashiels ist der Wald fast noch in seinem Urzustand erhalten. Diese Gegend, die schon Walter Scott begeistern konnte und in der ihm mit dem Adel auch ein Herrensitz vom König verlieben wurde, ist auch heute noch das Ziel. vieler englischer Touristen, aber nur selten kommen Ausländer hierher. Um so größer war das Aufsehen, das unsere deutschen Motorräder erregten als wir in Melrose mittags Rast hielten. Besonderes Interesse erweckte es, das alle unsere Maschinen mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet waren, die in England noch verhältnismäßige wenig zu finden ist. Der Verkehr in dieser Gegend wickelt sich fast ausschließlich mit dem Kraftfahrzeug ab. Auffällig war die verhältnismäßig geringe Anzahl von Privatkraftwagen. Für das Touren fahren ist das Kraftrad, besonders mit dem Seitenwagen sehr beliebt. Wer kein eigenes Kraftfahrzeug besitzt, dem stehen überall offene Aussichtswagen zu verhältnismäßig sehr niedrigen Taxen zur Verfügung. Neben regelmäßig betriebenen Linien sind solche Gesellschaftswagen auch an vielen kleinen Orten mietweise zu haben und so begegneten wir oft vollbesetzten Fahrzeugen, die meist ballonbereift.

Auch in starken Steigungen, wie sie dort häufig sind, recht erhebliche Geschwindigkeiten erzielen. Die Verteilung der Brennstoff ist in Schottland wesentlich geringer, vielleicht mag dies daran liege daß nur im Sommer ein starker ouristenverkehr, sonst nur schwächer Nutzverkehr herrscht. Die großen Besitztümer, auf denen man fast ausschließlich auf Viehzucht eingestellt ist, haben verhältnismäßig geringes Verkehrsbedürfnis.

Bei den großen Entfernungen zwischen die einzelnen Gütern bedient sich hier die Post des Kraftrades in ausgedehntem Maße. - Wie schon in anderen Orten, so war unsere Ankunft in Edinburgh an einem Sonnabend nachmittags wo sich so ziemlich alles auf der Straße befindet, wieder eine kleine Sensation, so daß wir so schnell wie möglich versuchten, in eine Garage zu kommen. Der Eindruck von Edinburgh, welches am Berghang nach der Seeseite liegt, ist überwältigend. Die neue moderne Stadt liegt unten am Meeresufer während sich die Altstadt an den Hang anlehnt, der oben von dem alten Königsschloß gekrönt wird. Aber nicht nur das alte Königsschloß reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück, sondern auch Altedinburgh mit seinen Vasallenschlössern, Kirchen und sonstigen Staatsgebäuden ist noch fast vollständig erhalten. Von der alten Burg hat man einen Rundblick über die Nordsee, den Firth of Forth und das Innere des Landes. Während wir die Stadt besichtigten. Hatte sich die Anwesenheit der deutschen Maschinen herumgesprochen. Als wir zur Garage kamen, war sie voll von Leuten, welche unsere Maschinen einer genauen Besichtigung unterzogen. Dabei war es interessant, verschiedene Bemerkungen zu hören. Selbst Leute, die anfangs fällige Bemerkungen fallen ließen, äußerten nachher ihr Erstaunen zu konstruktive, Ausbildung und Ausführung der deutschen Motorräder. Der Vertreter einer guten englischen Fabrik stellte sogar die Frage- "Wie ist es möglich, daß soviel nach Deutschland exportieren können, wenn ihr selbst so gute Motorräder habt?

An Englands Westküste nach dem Industriegebiet

Von Schottland führte uns unser Weg zurück nach England, aber diesmal an der Westküste entlang, wobei wir wieder die Cheviot Hills zu überwinden hatten. Sie erreichen hier zwar nicht dieselbe Höhe aber sie wirken dennoch romantischer, weil tiefe Täler mit hohen Kämmen abwechseln. Bergauf und bergab geht es in ununterbrochener Folge auf kurvenreichen und unübersichtlichen Straßen, wo Maschinen und Fahrer bis aufs äußerste beansprucht werden, Nachdem der letzte Höhenzug überwunden ist, befinden wir uns wieder in dem typischen englischen Flachland" wie wir es schon zu Beginn unserer Reise kennengelernt hatten. Auch hier bei Carlisle ist wieder alter historischer Boden was aus den zum Teil viel besser erhaltenen Schlössern, Burgen und Abteien zu erkennen ist. Sogar die Reste der um 150 n. Chr. Von den Römern gegen die Pikten in Schottland errichteten Grenzmauern sind noch erhalten. In dieser überwiegend landwirtschaftlichen Gegend, 'wo die Industrie nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist der Verkehr wie auch in Schottland, nicht sehr stark. Aber gerade hier ist das Kraftrad zu einer gewissen Bedeutung gekommen. Im Gegensatz zu Schottland mit seinen großen Gütern sind hier in der Hauptsache kleinere Besitzungen, die alle getrennt voneinander liegen, daher gibt es auch hier keine Dörfer, aber in gewissen Abständen kleinere Städte'. Der dadurch notwendig gewordene Einzelverkehr von Gut zu Gut oder vom Gut zum Städtchen wird fast ausschließlich mit Krafträdern erledigt. Das Kraftrad hat dort etwa dieselbe Bedeutung wie bei uns das Fahrrad. Es wird durchaus nicht nur von Männern benutzt, ja man kann sogar sagen, daß zu gewissen Tageszeiten weibliche Motorradfahrer überwiegen. Die Frau, welche mit ihrem Gemüse oder ihrer Milch im Seitenwagen zum Markt fährt, ist keine seltene Erscheinung.

Je weiter südlich wir kommen, um so dichter finden wir den Verkehr. Wir nähern uns dem eigentlichen Industriegebiet. aber vorher gibt es landschaftlich noch einmal eine große Überraschung. Ganz unvermittelt sind wir in das englische Seengebirge . - i.e. Cumbrian hills - gekommen, welche sich bis zu 1300 m erheben. Die Landschaft unterscheidet sich ganz wesentlich von dem was wir bisher gesehen haben und gilt als die schönste in England. Zwischen den einzelnen Bergrücken, die mit Heidekraut bedeckt sind, liegen große Seen, die von dichtem Laubwald eingefaßt sind. Die Landschaft wechselt dauernd zwischen den beiden bedeutendsten Seen, dein Ullswater und die Windermere See befindet sich der Kirkstone Paß, den wir überschreiten müssen. Vom Seenspiegel geht es in durchschnittlich 18prozentiger Steigerung, auf 4 km langer kurvenreicher Straße, 700 in hinauf, und das bei druckender Sommerhitze. Selbst in den Alpen dürfte es kaum eine größere Beanspruchung auf einer Hauptstraße geben, Dabei ist die Straße selbst in einem schlechten Zustand, teilweise sogar mit Steingeröll bedeckt.

Auffälliger weise sieht man wenig Personenwagen, aber sehr viel Motorräder mit und ohne Beiwagen und viele Ausflugswagen, die wir schon in Schottland bemerkt hatten. Wir konnten hier so manchen Motorradfahrer beobachten, der genötigt war-sein Rad zu schieben, oder seinen Seitenwagen zu entlasten, was keines von unseren deutschen Motorrädern nötig hatte. Bei einem Halt auf der Paßhöhe rregten 'unsere deutschen Motorräder wieder große Bewunderung. Wie schon an anderen Stellen konnten wir hier von Engländern die Ansicht hören, daß unsere Maschinen im Verhältnis zu ihrer Konstruktion und Ausführung nicht zu teuer seien. Man unterscheidet hier viel schärfer zwischen absoluter hochwertige Gebrauchsmaschine, billiger Gebrauchsmaschine und Sportmaschine.

Genau so plötzlich, wie wir in den Gebirgszug hineingekommen sind, befinden wir uns wieder in der Ebene, und nähern uns jetzt merklich dem englischen Industriegebiet. Von Lancaster an wird der Verkehr nun immer dichter, besonders der Lastwagen- und Omnibusverkehr. Die in England sehr teure Eisenbahn kommt fast nur noch für den Schnellverkehr über große Strecken in Betracht. Der ganze übrige Verkehr wickelt sich auf der Landstraße ab. Ja, sogar das fast 400 km entfernte London kann man durch Umsteigen im Omnibusverkehr erreichen. Mit Omnibussen fährt der Arbeiter, der oft noch auf dem Lande wohnt, zur Arbeit in die Stadt, wenn er nicht sein Motorrad hat.

In Liverpool fallen uns zum erstenmal ganz in weiß gekleidete Verkehrsschutzleute auf. Es ist kein Zweifel, daß die von Birmingham zuerst eingeführte weiße Kleidung außerordentlich zweckmäßig ist. Der Beamte hebt sich bei jedem Wetter und bei jeder Beleuchtung von der Umgebung ab und ist nicht zu übersehen. Liverpool, eine typische Hafenstadt, hat einen sehr lebhaften Kraftverkehr in seinen Straßen und bildet daher, wie alle dichten Verkehrsstädte, keine reine Freude für den Kraftfahrer. Aber außerhalb der Stadt, ist trotz der großen Verkehrsdichte kaum etwas von der Großstadtnähe zu spüren. Es ist auffällig , daß im ganzen Industriegebiet außerhalb der Städte das Landschaftsbild das gleiche, wie im übrigen England ist abgesehen von dem dichten Lastkraftwagenverkehr, hat man außerhalb der Städte nicht das Gefühl, sich in einem Industriegebiet zu befinden. Dies ist wohl hauptsächlich auf die Seeluft. zurückzuführen und auf die , vollkommen staubfreien englischen Straßen. Unangenehm ist nur der Qualm, den die vielen 6- und 8-t Dampfkraftwagen verursachen. Trotz dieses Verkehrs befinden sich die Straßen selbst fast durchweg in einem Zustand, den man nach deutschen Verhältnissen als erstklassig bezeichnen kann. In gewissen Abständen liegen an der Straße Baumaterialien. Dauernd in Bewegung befindliche Reparaturkolonnen mit Dampfwalzen sorgen dafür, daß auftretende Schäden sofort behoben weiden.

Innerhalb der großen Städte ist die Bedeutung des Kraftrades gegenüber anderen Verkehrsmitteln nur gering, aber immerhin leistet es für gewisse Zwecke im Eilverkehr gute Dienste, wobei das Seitenwagen Gefährt in jeglicher Ausführung überwiegt. Weit mehr ist das Kraftrad mit 'und ohne Beiwagen auf der Landstraße in der Umgebung großer Städte zu finden. Hier dient es nicht nur dem Schnellverkehr. Der Engländer benutzt jede freie Minute um aus dem Weichbild der Stadt herauszukommen, Da ist das Kraftrad nicht nur das Fahrzeug des kleinen Mannes, sondern es wird von allen denen gern benutzt, die sich auch abseits der großen Hauptstraße bewegen und unabhängig sein wollen, weil man mit dem Kraftrad auch schmale Pfade befahren kann. Viele Engländer fahren über Sonnabend und Sonntag zum Weekend hinaus und schlagen irgendwo auf freiem Felde, wo es ihnen gefällt, ihr Zelt auf, das sie im Beiwagen mitführen, oder aber sie Übernachten in einem kleinen Gasthofe. wie wir sie schon früher beschrieben haben.


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