Tiere als Spiegel der Seele und Sinnbild der Kultur
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Schaf und Widder


Zum Symbol, zum Sinnbild gewordene Eigenschaften

  • Schafe sind die Herdentiere par excellence. Dies machte sie zum Sinnbild für den Herdentrieb allgemein und für Mitläufertum jeder Art. Da sie sanft und weißfarbig sind, assozierte man mit ihnen Freudlichkeit und Idylle. Das seltene "schwarze Schaf" wurde entsprechend zum Sinnbild für Außenseitertum.
  • Der Widder leitet das neue, von "Mann und Logos" bestimmte astronomische Widder-Zeitalter ein. Als Sonnensymbol und Sinnbild männlicher Widerstands- und Kampfkraft steht er für den Frühling des Patriarchats. Sein Gehörn wurde zum Fruchtbarkeitssymbol.
  • Das weiße Lamm wurde schon vor Jahrtausenden zum Inbegriff von Unschuld und Reinheit. Da im Frühling geboren, wurde es der Fühlingssonne und ihrem Wachstums- und Fruchtbarkeitsversprechen gleichgesetzt. Seine stille Hilflosigkeit machte es zum Opfertier schlechthin.


Herde und Hirte

Die Menschen domestizierten Schafe schon bereits vor zehntausend Jahren. Ihre wilden Vorfahren sind höchstwahrscheinlich Mufflons aus dem Kaukasus, die großartige Bergsteiger sind. Durch ihre Trittsicherheit auch an steilsten Hängen entgehen sie ihren größen Feind, dem Wolf. Schafe und Widder leben bis auf die Paarungszeit in getrennten Herden oder Gruppen. Domestizierte Schafe dagegen leben in sehr großen Herden von um die hundert Schafen in Flach- oder Hügelland, und da sie von dort aus nicht wie ihre wilden Artgenossen hoch auf Bergspitzen fliehen können, sind sie auf sie schützende Hirten angewiesen. Ohne ihn zerstreut sich bei Gefahr die Herde sehr schnell in Panik, und dann sind die einzelnen Schafe leichte Beute für jeden Feind. Unsere domestizierten Schafe laufen als Herde ihrem Hirten (oder auch ihrem "Leithammel", der ein kastrierter Widder ist) hinterher. Ein einzelnes, versprengtes Schaf stirbt sehr bald am Stress innerer Orientierungslosigkeit. Es kann überhaupt nur in einer Herde als deren organischer Bestandteil existieren.

Es heißt DAS Schaf, sogar DAS Mutterschaf, eine DIE Schaf (engl. "ewe") gibt es im Deutschen nicht. Es gibt nur DIE Herde, das Kollektiv der Mutterschafe. Die deutsche Sprache spiegelt so wider, dass ein Schaf als einzelnes Individuum gar nicht existieren kann. Die Bezeichnung eines Menschen als "Schaf" hat hier ihren Kern. Menschen, die Furcht vor eigenen Positionen haben, und die sich deshalb stets Mehrheitsmoden oder Mehrheitsmeinungen anschließen, werden oft etwas verächtlich so genannt, oder auch als "dem Herdentrieb verfallen" gekennzeichnet. Sie sind die ewigen "Ja-Sager". Jedenfalls erleichtert dieser Angst der Schafe vor Selbstständigkeit dem Hirten und den "Leithammeln" - auch im übertragenen Sinn - die Arbeit.

Schafherden hatten früher für die Menschen eine hohe wirtschaftliche Bedeutung, in Ländern wie z.B. Neuseeland oder Schottland auch heute noch. Sie wurden und werden besonders wegen ihrer schönen weißen Wolle, ihres "Vlieses" gehalten. Aber auch ihre Milch und ihr Fleisch waren und sind den Menschen wichtig. Hirten waren immer auch die Ärzte ihrer Schafe und kräuterkundig. Sie nutzten früher viele Mixturen, um ihre Schafe vor Krankheit und Raubtieren zu schützen. Ein besonders kurioses altes Rezept als Beispiel: Wolfsleber und Wolfszunge, gemischt mit Schlangenhaut und Wurzeln, sollte sie z.B. vor den Überfällen der Wölfe schützen. Hirten waren in der Regel gut zu ihren Schafen, aber unter dem Einfluß des Christentums ist der Begriff "Hirte" inzwischen ausschließlich väterlich-positv besetzt.


Vom guten Hirten der Bibel

Kleinasien war zu Alttestamentarischen Zeiten durch seine Hirtenkultur geprägt. Im Bibellexikon steht: "Der Wohlstand im Orient bestand im Allgemeinen in dem Besitz von Herden. Der Hirte hatte daher eine wichtige und ehrenvolle Position. David hütete Schafe. Joseph wies seine Brüder an, dem Pharao zu sagen, dass sie Schafhirten seien und baten so um die Erlaubnis, im Gosen (Land Ramses) wohnen zu dürfen. Für die Ägypter war jeder Hirte etwas Abscheuliches. Solche, die dem Volke Gottes zur Hilfe sein sollten, werden ebenfalls als Hirten bezeichnet."

Schafe sind ganz friedliche, unaggressive Tiere. Diese sanfte Wesensart zeichnete meist ebenso ihre Hirten aus. Sie gelten als freundlich, fürssorglich und verantwortungsvoll. In diesem Sinne werden sie häufig in der Bibel erwähnt. Einige Beispiele: Ín einem der Psalmen steht geschrieben: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." In Jesajas Vorhersagungen wird das Bild des guten Hirten für den zukünftigen Messias verwendet. Im Johannes-Evangelium findet sich sowohl das Bild von Jesus als Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt, als auch das Gleichnis vom guten Hirten, der sein Leben für die Schafe lässt. Johannes schrieb auch diesen Satz von Jesus auf: "Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle; und dieselben muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden."

In der frühen Christenheit ist der „gute Hirte“ das Bild, das am meisten für Jesus verwendet wurde. In diesem Sinne nennt sich der Papst der Römischen Kirche noch heute "Oberhirte". Aus dieser positiven Vater- und Hirtenvorstellung heraus entstammt auch der Begriff "Pastor", übersetzt "Hirte". Damit wurde aber auch den Annhängern der Römischen Kirche subtil suggeriert, dass sie Schafe seien. Das meint: eigenen Gedankenwegen zu folgen führt in Unheil und Tod.


Die Schäferidylle

Neben dem christlich-paternalistisch verwendeten Begriff "Hirte" wurde auch der säkulare, aus dem alltäglichen Leben genommene Begriff "Schäfer" ("Schaf": Haare "(ab)schaben", engl. "shave") verwendet.

Das Leben der Schäfer wurde in Europa ganz ungefährlich und gewissermaßen geruhsam, als es hier keine Wölfe und keine Luchse mehr gab, gegen die es die Schafe zu verteidigen galt. Nach und nach wurden jetzt die Schäfer zum Sinnbild für ein unkompliziertes Leben in der Natur als Idylle. Besonders im Rokkoko blühte die Schäferromantik in der Phantasie und in der Kunst. Die Redewendung "ein Schäferstündchen haben" bürgerte sich als Metapher dafür ein, sich den Freuden der Liebe in duftender Natur, voller Zärtlichkeit und Romantik hinzugeben.

Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich das literarische Genre der Schäferdichtung. Sie zeichnete sich durch eine naive, idealisierte Naturbeschreibung aus, in der alles in Ordnung war, die Blumen immer blüten und Liebe immer Verliebtheit war. Das Ideal einer "heilen Welt" - als Kontrast und Trostwunsch zu den Unruhen der realen Welt; ich nenne hier nur die Reformation, welche das Monopol der Römischen Kirche mit ihren eben gar nicht "Guten" Hirten zerbrach.

Das Trugbild einer "Heilen Welt", symbolisiert in der Schäfer- und Herdenidylle, wurde wahrscheinlich durch die lieblichen Heidelandschaften gefördert, denen der Wald in West- und Mitteleuropa gewichen war. Blühende und duftende Heiden voller sanfter Schafsherden und fürsorglicher Schäfer. Der nahezu organische Zusammenhalt in einer Schafherde kann auch, naiv für sich allein genommen, als ein Idealbild des Friedens betrachtet werden.

Beim Schaf finden wir in der heute wieder erwachten Schamanischen Tradition der Krafttiere das Thema "Ideal" wieder. Es steht dort für Sanftmut und Empathie, für die Kraft des Träumens und ermahnt, am Ideal einer Gemeinschaft festzuhalten, da wir alle keine geborenen Einsiedler sind. Hier ist ein "Ideal" gemeint, das nichts mit einer "Idealisierten Idylle" wie der des Rokkoko zu tun hat. Es geht um Opferbereitschaft für das Ganze; wesentlich auch um Balance mit und in der Gesellschaft wie in der Natur.


Schafe schaffen Landschaften

Große Schafherden halten weite Gelände baumfrei, denn sie fressen alle Baumsprösslinge mit dem Gras auf. Sie schufen so die Heide als Kulturlandschaft. "Herde", "Heide" und auch "Hirte" haben nicht zufällig den gleichen Wortstamm. Die Lüneburger Heide zum Beispiel wird durch Schafherden, die der 'Naturpark GmbH Lüneburger Heide' gehören, als Heide erhalten - sonst würde dort in Kürze wieder ein Wald nachwachsen. Neue Heiden entstehen auf ehemaligen Militärübungsgeländen. Sie sind flache, offene Gebiete, in denen Lurche, selten gewordene Vogel- und Pflanzenarten als Rückzugsgebiet vor den Menschen haben überleben können. Diese Gelände werden zu deren Schutz weitgehend durch Schafherden als Heide offen, das heißt baum- und siedlungsfrei gehalten. Man kann mit einem Lächeln sagen: "Schafe haben die Panzer ersetzt". "Frieden statt Krieg" - Heidelandschaften sprechen somit unsere Sehnsucht nach einer heilen Welt immer noch an.

Zur Romantik solcher offenen, sanften Heidelandschaften gehört auch, dass sich im Sommer bei Hochdrucklage dort gerne "Schäfchenwolken" bilden. Das wuschelige, weiße Schaffell der Herde unten auf der Erde ließ die Menschen bein Anblick dieser weißen Wölkchen an eine Schafherde auch über sich denken. In Märchen und Mythen wird erzählt, Frau Holle treibe ihre Schäfchen über die Himmelsweide, um der Erde Wachstum zu bringen. Große dunkle Unwetterwolken dagegen wurden für ihren schwarzen Widder gehalten.

Bei starkem Regen und im Winter wurden die Schafherden in großen Ställen untergebracht. Die Redensart "sein (e) Schäfchen ins Trockene bringen" bedeutet, seine Gewinne und sein Vermögen abzusichern und bezieht sich darauf, dass Schafe auf zu nasser Weide eingehen. Noch bis in die Vorkriegszeit gab es in Deutschland viele Schafherden und Schafställe. Man begegnete und sah sie unterwegs oft. Ein alter Orakelreim erzählt noch davon: "Schäfchen zur Linken, tut Freude dir winken. Schäfchen zur Rechten, da gibt´s was zu fechten." Ein schwarzer Widder, ein männliches Schaf also, wurde allerdings für einen Vorboten des Todes gehalten.


Der fruchtbare Sonnen-Widder

Das männliche Schaf wird zoologisch und alltagssprachlich schlicht "Schafsbock" genannt. Symbolgebend wurde er durch sein "Widder"-Naturell, seiner Kampfesfreude "Wider-etwas-zu-sein". Damit hat er eine konträre Symbolbedeutung zum weibliche Schaf als friedlichem Herdentier. In ihm ist Individualität und Durchsetztungskraft versinnbildlicht.

Als Tier mit ausgeprägtem Gehörn gehört er, ähnlich wie der Stier und der Ziegenbock, zu den phallischen Tiergöttern. So wie in den vegetationsreichen Gebieten des kleinasiatischen Kulturraumes der Stier als Fruchtbarkeit schenkender Gott verehrt wurde, so wurde dies im Laufe der Zeit in den vegetationsärmeren Ländern Kleinasiens und Nordafrikas der vergleichsweise anspruchlose Widder. Im klassischen Altertum war er das am häufigsten geopferte Tier. Ein Grund dafür dürfte auch gewesen sein, daß zu Frühlingsanfang, zu Beginn der neuen Vegetationsphase also, die Sonne während des Zeitraums von ca. 2000 - 0 v.Ch. in seinem Sternzeichen aufging. Er galt als Verkörperung der Sonne.

In Ägypten wurde der Sonnen- und Fruchtbarkeitsgott Amun-Re, oft als Mensch mit einer Krone, in der eine Sonnenscheibe von zwei Widderhörnern umrahmt ist, dargestellt. Der phönikische Ammon trägt auch Widderhörner, er wurde als Gott der Herden, Weiden und Fruchtbarkeit verehrt. Eine besondere Geschichte zur kultischen Bedeutung des Widders wird im Alten Testament erzählt: Jahwe befiehlt Abraham ihm seinen Sohn Isaak zu opfern, das heißt zu töten. An der Opferstätte hält ein Engel Abraham jedoch im letzten Moment davon ab: „Da erhob Abraham seine Augen und schaute, und siehe, da war hinter ihm ein Widder, der sich mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen hatte. Und Abraham ging hin und nahm den Widder und brachte ihn als Brandopfer dar anstelle seines Sohnes." (1.Buch Moses)

Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, sich durch einen im Opfer vorweggenommenen Verlust von einem möglichen größeren in der Zukunft freikaufen zu wollen. Heute würde man das einen "Deal mit Gott" nennen: "Wenn ich dies oder das tue, dann passiert dies oder das" - oder je nachdem: "passiert dies oder das nicht". In früheren Zeiten ging es stets um Ernte- und Kindersegen, der so "erhandelt" werden sollte. Es war naheliegend für den Erntesegen Fruchtbarkeitssymbole wie Stier oder Widder zu opfern. Für den Kindersegen und für den Erhalt des Lebens insgesamt mußte in dieser Logik mehr als eine Tier geopfert werden, es kam zu Menschenopfern, meist war das der König oder ein Königskind. In dieser Tradition verlangt Jahwe von Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern. Aber Jahwe gibt sich mit einem Widder als Ersatzopfer zufrieden. Warum?

Ersatzopfer für Isaak ist nicht irgend ein Widder, sondern es wird ausdrücklich gesagt einer, der sich "im Gestrüpp verfangen hat", das ist wichtig, denn es ist als sexuelle Metapher zu verstehen. Zur Zeit Abrahams war die kulturelle Schlacht gegen die "Große Mutter" noch im Gange, die "Schlange" (Sexualität, Weiblichkeit) im "Paradies" (des männlichen Gottes Jahwe) hatte ihre Attraktivität nicht verloren. Mit diesem Widder wurde Jahwe nur der Aspekt des Männlichen geopfert, der einer Frau in erotischer Lust folgen will, der damit noch im "Gestrüpp (der Großen Göttin) verfangen" ist. Die Römische Kirche ist mit ihrer asketisch orientierten Sexuallehre auf diesem Entwicklungsstand stehen geblieben, wohl ein Hauptgrund ihrer schwindenden Bedeutung.

Im vorchristlichem Europa war der Widder auch ein beliebtes Frühjahrs- und Ernteopfer, das aber nicht gegen, sondern für Sinnenfreude stand. Seine Hörner wurden zu diesen Opferfeiern vergoldet und ein Buchsbaumkranz um sein Haupt gelegt. Goldfarbe zeugt hier für seinen Bezug zur Sonne und der Buchsbaumkranz zum sich ewig erneuernden Leben. Im Denken der damaligen Menschen erhofften sie sich durch die Opferung eines Widders doppelt und dreifach genau das, was er versinnbildlichte: Sexualität und Fruchtbarkeit.


Das Goldene Vlies und die Zeitenwende

Das "goldenen Vlies" des Altertums war ein goldenes Widderfell, es strahlte die Sonnennatur des Widders aus und symbolisierte das ganze Zeitalter in seinem Glanz.

In der griechichen Sage vom Goldenen Vlies rettet ein goldfelliger Widder im Auftrag von Hermes zwei königliche Geschwister, Phrixos und Helle, vor der Eifersucht ihrer Stiefmutter. Er fliegt beide nach Osten, aber als er die Meerenge von Europa nach Asien überfliegt rutscht Helle von seinem Rücken und fällt ins Meer, in den Hellespont, der nach ihr benannt wurde. Ihr Bruder Phrixos wurde vom Goldenen Widder sicher in einem Land am Schwarzen Meer abgesetzt. Aus Dank über die Rettung des Jungen wurde der Widder geopfert und sein Goldenes Vlies in einem Tempel des Gottes Ares aufbewahrt und von einem nie schlafendem Drachen bewacht.

Diese Sage beschreibt für mich erstaunlich klar den sich anbahnenden Übergang ins patriarchale Zeitalter:

Die Stiefmutter läßt sich als der Todesaspekt der Großen Mutter verstehen, sie will Phrixos und Helle umbringen, übersetzt heißt das, sie verlangt Kinderopfer. Der Widder als männliches Gottes-und Fruchtbarkeitssymbol tritt gegen sie als Retter der Kinder an, er fliegt sie fort. Aber er rettet als Sonnengestalt nur den Knaben Phrixos, dessen Name "vertrocknende Nässe" bedeutet. Dies zeigt den Bedeutungsverlust des Elementes Wasser gegenüber dem Element Feuer. Er rettet nicht das Mädchen. "Helle", deren Namen "sonnenhelle Schöne" bedeutet, geht als weibliche Sonne im Meer unter, fällt zur Urmutter ins Wasser zurück. Die Stiefmutter als verschlingende Todesmutter wollte nicht nur den Tod des Phrixos, sondern auch den ihren, symbolhaft vernichtet sie damit auch ihre eigene Zukunft als Schöpfungsprinzip. Den Tod des Knaben verhindert der Widder, das neue, männliche Schöpfungs- und Sonnensymbol. Das Goldenes Vlies, als ideelles Prunkgewand des Kriegsgottes Ares, des Herrn der Gemetzel, kündigt die sich anbahnende (noch ist Phrixos ein Knabe) neue Zeit als eine Zeit der Vergöttlichung des Krieges, der Kriegshelden und der großen Schlachten an. Es wird von Schangen und Drachen bewacht. Von solchen Ungeheuern wurden typischer Weise Geheimnisse und Kultorte beschützt. Das Goldene Vlies muß demnach im Zusammenhang mit kriegerisch ausgerichteten Sonnen- und Opferungsmysterien gestanden haben.

Der Sonnenverbindung des Widders ist auch in seinem Sternzeichen verewigt. Die im "Widder" geborenen Menschen gelten heute nicht mehr als starke Krieger, aber doch der Sonne, dem Feuer wesensverwand und voller Willenskraft, Tatendurst und Durchsetzungsvermögen. Das Wort "Widder" kommt von wider, wie z.B. in "Widerstand" oder "widrige Umstände". Er ist ein Wesen, das sich gegen etwas behaupten will und kann. Er donnert mit seiner Stirn, mit seinem Gehörn gegen andere Widder-Stirnen, gegen andere Mächte und Meinungen an. Er "geht mit dem Kopf durch die Wand". Diese seine kraftstrotzende Haupteigenschaft fiel auch deshalb so besonders auf, weil sie sich aus dem nur hilflos schweigenden Lamm - so wie die Sonne aus der winterlichen Ruhe und Stille - entwickelt hatte.


Kulturelle Ablösung der Großen Mutter

In einem kaukasisches Märchen, "Der hilfreiche Widder", wird vom Widder als leben- liebe- und nahrungschenkender Kraft erzählt. Er setzt symbolhaft der überhöhten Bedeutung der Großen Mutter grundsätzlichen und sie vernichtenden Widerstand entgegen:

Ein Witwer hatte eine Tochter, und er heiratete eine Frau, die ebenfalls eine Tochter hatte. Diese liebte aber nur ihre eigene. Beide Töchter hüteten jeden Tag die Schafe auf einer Weide in den Bergen. Der eigenen Tochter gab die Mutter leckeres und gutes Essen mit, und diese sang den ganzen Tag vor Freude darüber. Der Tochter des Mannes aber gab sie nur trockenes Brot mit, und so weinte diese den ganzen Tag. Da kam eines Tages ein Widder zu der Tochter des Mannes und fragte sie nach dem Grund ihres Weinens. Sie zeigte ihm ihr trockenes Brot. Der Widder wollte helfen und verriet ihr, dass wundervolle Speisen und Getränke in seinem rechten Horn verborgen wären. Sie dürfe sie sich nehmen. Und wenn sie wieder Hunger habe, müsse sie nur weinen, und er würde ihr wieder in seinem Horn alles bringen, was sie zum Sattwerden brauche. Nun sang auch die Tochter des Mannes den ganzen Tag beim Schafehüten. Als die Mutter erfuhr, dass die Tochter des Mannes auch den Tag lang sang, ward sie wütend, sie gönnte ihr nichts Gutes. Sie wies ihre eigene Tochter an, die Tochter des Mannes vom Felsen in den Tod zu stoßen. Die Tochter des Mannes hatte alles gehört und erzählte es dem Widder. Er wies sie an die Tochter der Frau zum Felsen zu führen und ihn alles Andere machen zu lassen. So geschah es, und der Widder stürzte die Tochter der Frau in den tödlichen Abgrund.

In diesem Märchen geht es um die Entwicklungsprozesse in einem Mann unter der Dominanz der Mutter/Frau - und zwar sowohl innerpsychisch als auch kulturell.

Für die Entwicklung eines Mannes spielt Anima, sein weiblicher Seelenanteil, zunächst eine geringere Rolle (Vater kümmert sich um keine der Töchter) als in der Entwicklung einer Frau (Mutter verwöhnt eigene Tochter). Dies ändert sich, als seine Anima durch die Mutter/Frau in Not und Bedrängnis gebracht wird. Auf der Beziehungsebene erzählt dies Märchen, dass eine nur selbstbezogene Frau (Mutter verwöhnt nur eigene Tochter) in einem Mann dessen weibliche Seite, seine Empfindsamkeit und Sensibilität nicht fördern kann und will (Mutter vernachlässigt Tochter des Mannes). Es läßt sich auch sagen, sie liebt ihn nicht, und er leidet darunter Mangel (Tochter des Mannes hungert und weint).

Der in Jedem angelegte Drang zur Individuation, zur Werterfüllung seines Selbst tritt im Mann darauf hin im Symbol des Widders in Erscheinung (Füllhorn= Sonne= Widder). Er verhilft der vernachlässigten weiblichen Seite in sich, seiner Anima (Tochter) zu Wachstum (Widder gibt der Tochter des Mannes zu essen) und zu Freude (seine Tochter singt). Im Widder kommt auch der sexuelle Aspekt des Animus zum Tragen (sein Horn bringt Lebensfreude zur Tochter) und er wird gerufen durch die Sehnsucht nach ihm (Tränen der Tochter = Anspielung auf Samen). Die Intergationskraft des Selbst (Widder) bringt Animus (Horn) und Anima (Tränen des Mangels) in Einklang.

Dagegen ist in der Mutter/Frau des Märchens deren Selbst in den Schatten geraten. Ihre Anima (Tochter der Frau) nimmt die Bedürfnisse der Anima des Mannes (Tochter des Manne) nicht wahr (gibt der Tochter des Mannes nichts ab). Und ihr Animus ist unentwickelt mit ihrem Ego verschmolzen (will töten). Das Ego der Mutter/Frau hat den Platz des Selbst eingenommen - und das mit verheerenden Folgen für sich selbst:

Eine Mutter/Frau, die nur sich selbst liebt, läßt die Seele des Mannes, seine Anima verhungern (Mutter läßt Tochter des Mannes hungern). Letztendlich will sie diese auch töten (Tochter der Frau soll Tochter des Mannes töten), da sie das Glück (eigene Tochter singt) nur im Kontrast zum Unglück des Mannes (Tochter des Mannes weint) erfahren will oder kann. Wir sehen hier eine Mutter/Frau, die alle Seelenqualitäten und alles Seelenglück für sich allein beansprucht, ihr Leben zu einem "Ego-Trip" macht. Das Selbst des Mannes (Widder) will sich seine Seele (seine Tochter) nicht abtöten lassen, es greift als seelischer Selbsterhaltungstrieb ein. Er/sein Selbst tötet seinerseits die Anima, die Seele der Mutter/Frau, um zu überleben (Widder tötet Tochter der Frau). Auf realer Ebene würden wir sagen, der Ego-Trip führt in die Depression der Verassenheit und Einsamkeit.

Diesen letzten Akt kann man auch wunderbar als den Akt der Selbstbefreiung des Männlichen, der Männer aus der Herrschaft einer in Selbstverherrlichung erstarrten Matristischen Kultur verstehen. Dieses Phänomen blinder Selbstherrlichkeit findet sich in der Endphase jeder Kultur und führte in der Folge stets zu deren Niedergang. In diesem Märchen wird das Zeitalter des Widders - als der Beginn des Patriarchalen Zeitalters - aus männlicher Sicht als notwendige Wende zum eigenen seelischen Überleben erzählt. Der Kult der "Großen Mutter" war in seiner Spätzeit mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich in Selbstverherrlichung und grausamen Opferriten erstarrt. Gleichermaßen wie Jahrtausende später der Beginn des Niedergangs des Patriarchats gekennzeichnet war durch die Selbstverherrlichung des Mannes und vernichtender Mißachtung der Frauen, ich nenne nur die Hexenverbrennungen.


Das Schweigen der Lämmer

Neben dem Schaf und dem Widder hat auch das Lamm eine eigenständige Symbolgeschichte. Schafe sterben schweigend. Auch die Lämmer blöken nicht in Gefahr und auch nicht im Todeskampf oder unter Schmerzen. Nur bei einer einzigen Gelegenheit geben Schafe Laut: wenn Lamm und Mutterschaf sich suchen. Einen Notruf, wie ihn andere Säugetiere kennen, gibt es bei ihnen nicht. Sie lassen sich scheinbar willig und schweigend schlachten. Das Opferlamm ist das "ideale" Opfertier, es zittert vor Angst am ganzen Leibe, aber es protestiert nicht. Verhaltensforscher erklären sich diese Schweigsamkeit der Schafe mit ihrer besonderen Verteidigungsstrategie, wie man sie bei Wildschafen im Himalaya noch beobachten kann. Ein Schaf hält Wache, und dieses mäht laut, wenn sich ein Luchs oder sonst ein Feind nähert. Die Widder ergreifen dann schweigend die Flucht. Die Schafe mit ihren Lämmern aber formieren sich zu einer geschlossenen Front und stürmen den Feind, sie rennen ihn einfach schweigend über den Haufen. "Viele Schafe sind des Wolfes Tod." Die Verteidigung der Schafe ist eine kollektive Herdenaufgabe. Als Einzelwesen sind sie völlig wehrlos.

Dieses protestlose Hinnehmen der Opferrolle, wie die Lämmer es tun, scheint uns heutigen Menschen Symbol für selbstverantworteten Untergang, für "Gefressenwerden" zu sein. In dem Film "Das Schweigen der Lämmer" werden Menschen verspeist. Die schweigenden Lämmer sind die "verschwundenen" Freunde... In seiner subtil makabren Kurzgeschichte "Afghanistan Lamm" greift auch Roald Dahl dieses Symbol des unfreiwillig freiwillen Opferlammes auf: In einem Spezialitätenrestaurant wird von Zeit zu Zeit das Gericht "Afghanistan Lamm" angeboten. Es ist ganz überaus köstlich und zart in seinem Geschmack. Liebhaber dieses Lammgerichts dürfen dann irgendwann einmal in die Küche hinein, um der so ganz besonderen Zubereitung dieser Speise beizuwohnen.... Roald Dahl läßt die Leser mit Schauern nach und nach ableiten, daß Afhganistan Lamm Menschenfleisch ist, daß die Besucher der Küche dort geschlachtet werden.


Das Opferlamm

Weltweit war das stille Lamm seit frühester Zeit das geborene Opfer. Eine besonders ergiebige Quelle ist hierzu die Bibel: Bei den Juden war es Sitte, Jahwe das erstgeborene männliche Lamm zum Passahfest zu opfern. Ursprünglich wurde auf Befehl Gottes der erstgeborene Sohn geopfert, wie in der Bibel (Exodus) berichtet wird. Diese archaische Sitte der Sohnesopferung war eine Variante der Königsopferungen, wie sie in "Kuh und Stier" beschrieben sind. Ein männlicher Mensch mußte - wie der Mond als Neumond - sterben, um die göttlich-mütterliche Nacht durch seinen Tod zu neuen Monden, zu neuen Geburten zu befruchten. Das lunare Prinzip allen Lebens, der stetige Wechsel von Geburt über Wachstum zur Blüte des Vollmondes - und dann der Verfall bis zum Tod, dem Neumond, dieses Prinzip lebten und starben in den damaligen Opferkulten die Könige.

Das Christentum beendete die Sitte des jährlichen Lammopfers: Nie mehr müsse ein Lamm - statt eines erstgeborenen Sohnes - zur Erhaltung allen Lebens geopfert werden. Denn jetzt habe sich Gottes erstgeborener Sohn Jesus - wie ein Lamm - einmalig und für alle Zeiten gültig zur Erlösung der Menschen selbst geopfert. Erlösung statt Fruchtbarkeit soll durch das Opfer erreicht werden. Logos STATT Eros, hier wird der kulturelle Umbruch durch das Christentum auf den Punkt gebracht. Aus heutiger Sicht wäre Logos UND Eros im weiteren Sinn eine Problem-Lösung; eine Er-Lösung vom Einen oder Anderen hätte sich dann erübrigt.

Das Baby-Schaf, das Lamm, ist ein reinweißes Tier und versinnbildlichte schon deshalb die Sonne. Das Wort "Lamm" (althochd. und engl. "lamb") hat den gleichen Wortkern wie griech. "lampas"(Fackel) und "lampo" (ich leuchte). Das Schaf und Lamm waren der keltischen Göttin Brigid heilig. Anfang Februar, wenn die ersten Lämmer geboren werden und die Sonne die Tage wieder verlängert, findet Imbolc, das Fest der Lichtbringerin Brigid statt. Eine deutliche Erinnerung daran findet man im Kirchenkalender: am 2. Februar wird "Mariä Lichtmess" gefeiert.

Im germanischen Kulturraum war das Schaf der Frühlingsgöttin Ostara geweiht. Ihr Fest war Ostern (Osten, Eos= griech. Morgenröte). Das Datum, an dem Ostern gefeiert wurde und auch heute noch wird, ist der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühlingstagundnachtgleiche. Der "Großen Mutter" in ihrem Aspekt der jungen Frau wurde ein Lamm geopfert. Noch heute werden in dieser Tradition nicht nur Ostereier gesucht, sondern auch Kuchen in Lammform gebacken und mit Zucker leuchtend weiß gepudert. So bot das Osterlamm sich im keltisch/germanischem Kulturraum an, als Symbol für den Opfertod Christi umgewidmet zu werden.


Das schwarze Schaf
Eine irischer Schäfer gibt zu bedenken:

Es gibt ein irisches Märchen: Da ist eine magische Insel im westlichen Meer. Diese Zauberinsel wurde von einem geschmiedeten, schweren Zaun aus Bronze in zwei genau gleiche Hälften geteilt. Wenn dort jemand sein Boot anlegte, so fand er stets die Inselhälfte rechts von sich voller weißer, weidender Schafe. In der linken Inselhälfte aber grasten ausschließlich schwarze Schafe. Der Held Maelduin gelangte dort eines Tages mit seinen Gefährten hin. Er beobachtet einen Hirten, wie er ein weißes Schaf über den Bronzezaun in die schwarze Herde warf - und es wurde schwarz. Dann warf er ein schwarzes Schaf in die weiße Herde - und es wurde weiß.

Schafe sind so gefärbt, wie ihre Herde es ist. Sie können nicht anders aussehen, denken oder fühlen, sie sind nur Herde. Ihr wollt und könnt keine Schafe sein. Also seid lieber ein schwarzes Schaf in einer weißen Herde, als daß ihr euch selbst verleugnet. Tragt selbstbewußt die Farben eurer Überzeugung, damit euer Leben bunt und voller Spannung ist.


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Stus Blog

Cornelia Savory-Deermann Cornelia Savory-Deermann

Cornelia
Savory-Deermann
, geboren 1945 in Wuppertal, hat seit 1971 Englische Bulldoggen. Seit Mai 2005 haben die Bulldogs hier ihr eigenes deutsches Weblog bekommen:

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Die Buchkapitel:

Inhalt

Einleitung

Tiere als Spiegel der Seele

Tiere als Sinnbild der Kultur

Bilder von Maggie M. Roe

1. Adler
2. Bär, Bärin
3. Biber
4. Biene
5. Delphin
6. Esel
7. Eule
8. Falke
9. Fisch
10. Fledermaus
11. Frosch, Kröte
12. Fuchs
13. Gans
14. Hase
15. Hirsch
16. Huhn, Hahn
17. Hund
18. Katze, Kater
19. Krebs
20. Kuh, Stier
21. Maus
22. Möwe
23. Mücke
24. Muschel
25. Otter
26. Pferd
27. Rabe
28. Ratte
29. Reh
30. Schaf, Widder
31. Schildkröte
32. Schlange
33. Schmetterling
34. Schwan
35. Schwein, Eber
36. Seehund
37. Spinne
38. Storch
39. Taube
40. Wal
41. Wolf
42. Ziege, Z-Bock

Literatur-Verzeichnis




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